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Autorenbildiris235

Der Wert eines Lebewesens


Jetzt, in der Vorweihnachtszeit, in den letzten Wochen des Jahres, sucht der ein oder andere die Einkehr in sich selbst, blickt zurück, reflektiert, über sein eigenes Leben, über das Leben im Allgemeinen. Gedanken kommen auf über Sinn, Werte, Moral, in unserer Gesellschaft, in unserer Welt.

Ich will hier einen dieser Gedanken näher betrachten, da er mich seit Jahren beschäftigt: das Verhältnis des Menschen zu Tieren bzw. die Frage: ist der Mensch mehr wert als andere Lebewesen? Gerade an den Weihnachtsfeiertagen werden Unmengen an Fleisch gegessen, unglaublich viele Tiere müssen sterben für die Zeit im Jahr, an der die Menschheit die Liebe feiert. Wo ist hier die Liebe, frage ich? Liebe, die wirkliche, wahrhaftige Liebe, schließt alle Lebewesen ein. Wie lässt sich das mit den Hunderttausenden von Tiefkühlenten, -gänsen, mit Tonnen von Hirschragout und Kalbsfleisch etc. etc., die auf den festlich gedeckten Tischen landen, vereinen?

Anlässlich dieser Thematik möchte ich heute einen kleinen, philosophisch-anregenden Gastbeitrag der Philologin und Schriftstellerin Monika Prams-Rauner einbeziehen:

Creatura mortua

Einmal im Sommer entdeckte ich am kleinen Teich, aus dem die Stängel und großen Blätter der Sumpfdotterblume herauswuchsen, zwei Körperhüllen von Libellen. Sie hingen wie Gerüste an je einem dieser saftgrünen Stängel, festgeklammert. Aber leer.

Die Libellen haben sie zurückgelassen, sind herausgeschlüpft, entflogen ins Leben!

Geboren oder gestorben?

Alles, was atmet, ist Kreatur, Geschaffenes, Geborenes. Alles Geschaffene ist irdisch, vergehend mit der Zeit, in der Zeit.

Jedes kleinste Lebewesen hat Angst vor dem Schmerz, vor dem Tod, jede Spinne, jede Fliege, jeder Wurm, jede Ameise, jeder Käfer, alle wollen leben. Sie bemerken hochsensibel jede Gefahr und versuchen ihr zu entkommen. Ein Lebewesen vorsätzlich zu töten, wiegt schwer.

Wissen wir, was ein Käfer empfindet, wenn er merkt, dass er sterben muß? Manche Menschen kehren den Weg, bevor sie darauf treten, um nicht ein Lebewesen zu zertreten. Wie weit sind wir davon entfernt?

Wir wissen, dass die Kühe weinen, wenn sie im Schlachthaus stehen, wir kennen das Angstgebrüll, aber wir hören es nicht.

Wer verstehen lernt, dass jedes Tier sein Wesen hat, wird einen anderen Umgang mit ihm pflegen.

Aus dem fahrenden Zug habe ich folgendes gesehen, einen Blick, den ich nie mehr vergessen kann:

Auf einem Stoppelfeld lag ein Reh, es konnte sich scheinbar nicht mehr erheben, war krank oder verletzt, zwei jüngere Rehe standen dabei, waren Gott sei Dank da. Das liegende Reh wusste genau, dass es sterben würde, und mit diesem wissenden Blick sah es die beiden Rehe an, die bei ihm standen. Der Zug entfernte sich, ich konnte nichts tun, was hätte ich tun können?

Wir sind nicht mehr als die Tiere, wie es schon im Buch Ecclesiastes (AT) heißt:

Ecl 3, 19-20:

Idcirco unus interitus est hominis et iumentorum et aequa utriusque condicio

Sicut moritur homo sic et illa moriuntur

Similiter spirant omnia et nihil habet homo iumento amplius

Cuncta subiacent vanitati et omnia pergunt ad unum locum

De terra facta sunt et in terram pariter revertentur.

Daher ist der Untergang des Menschen und der Tiere ein und derselbe,

und die Lebensbedingung ist die gleiche,

wie der Mensch stirbt so sterben auch die Tiere,

alle atmen und nichts hat der Mensch mehr als das Tier,

Alle unterliegen der Vergänglichkeit und alle gehen zum selben Ort,

Sie sind aus Erde geschaffen und sie kehren alle in gleicher Weise zur Erde zurück.

Ich möchte dem nicht mehr hinzufügen als einige anregende Fragen: aus welchem Grund sollte der Mensch also mehr wert sein als Tiere? Woher nehmen wir uns das Recht heraus, so mit ihnen umzugehen? Nur weil wir "stärker" sind? Wenn jeder das Tier, dessen Fleisch er isst, selbst töten müsste, wie viele würden dann noch Fleisch essen? Gibt uns die Distanz zum Töten, zu den Tieren wirklich das Recht auf Fleischkonsum? Wo ist die Empathie geblieben?

Ich hoffe, manch einer wird die verbleibenden Tage des Jahres 2018 dafür nutzen, sich Gedanken über diese Fragen, über den Stellenwert eines Lebewesens zu machen. Wollen wir denn nicht alle in einer harmonischen Welt leben, ohne Leid und Schmerz. Wenn jeder daran glaubt, dass eine derartige Welt möglich ist, dann hat sie auch die Chance tatsächlich zu entstehen.

Ich wünsche allen eine besinnliche Weihnachtszeit, einen guten Jahresabschluss und wunderbaren -neubeginn.


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